Auf der Walz

RedakteurIn: Anita Eller
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“Wir alle seins Brüder, wir alle seins gleich!” – so lautet der Refrain einer Ballade des Liedermachers Reinhard Mey. Das Lied erzählt vom Leben der Wandergesellen, die als zünftige Handwerker auf der Walz sind.

Diese besondere Art der beruflichen Fort- und Weiterbildung gibt es seit dem Mittelalter. In deutschen Landen wurde im 15. Jahrhundert für Handwerksgesellen die Wanderpflicht eingeführt, ohne Wanderjahre konnte niemand Meister werden. Mit der Industrialisierung verlor die Gesellenwanderung an Bedeutung und erfuhr in Deutschland erst wieder ab ca. 1980 eine Renaissance. Traditionelles Denken wurde wiederbelebt mit dem Unterschied, dass heute auch weibliche Gesellen durch die Lande ziehen.

Der Wandergeselle ist in seiner Zunftkleidung unterwegs, die als Kluft bezeichnet wird. Das Wort "Kluft" kommt vom Hebräischen "qellippa" (=  Schale, Rinde). Zu dieser Tracht gehören ein schwarzer Hut, ein kragenloses weißes Hemd, "Staude" genannt, Schlaghose, Gilet und Jackett mit Perlmuttknöpfen, wobei die Anzahl der Knöpfe eine Bedeutung hat, Schuhe oder Stiefel und der Stenz, der gedrehte Wanderstab. Eingewickelt in den Charlottenburger, einem bedruckten Tuch, das auch als "Charlie" bezeichnet wird, sind die Habseligkeiten des Gesellen. Ein goldener Ohrring gehört ebenfalls zur Grundausstattung eines wandernden Handwerkers. Dieser Ohrring wurde in früheren Zeiten bei Notfällen eingesetzt oder verwendet, um die Kosten des eigenen Begräbnisses bestreiten zu können.

In den Epochen der Romanik und Gotik durchzogen Maurer und Zimmerleute das Land, um an den Großbaustellen der Kathedralen zu arbeiten. Solche Bauhandwerker konnten nach der Wanderzeit bei ihrer Zunft den Antrag auf die Meisterschaft stellen. Das Meisterstück wurde nach einer weiteren mehrjährigen Arbeitszeit vor Ort abgelegt. Ein Handwerksmeister besaß das Niederlassungsrecht und wurde in das Bürgerbuch einer Stadt eingetragen. In manchen Zünften war es nur einem Meister erlaubt, eine Ehe einzugehen.

Auf die Walz, die sie auch als "Tippelei" bezeichnen, gingen nicht nur Bauarbeiter, sondern beispielsweise auch Tischler, Steinmetze, Schmiede, Gold- und Silberschmiede, Kirchenmaler oder Kupferstecher. In unserer Zeit sind auch Betonbauer oder Bootsbauer auf der Wanderschaft.  

Die Zugehörigkeit zu einem "Schacht" (einer Gesellenvereinigung) zeigt der Wandergeselle durch seine "Ehrbarkeit". Dies ist eine Art Krawatte als Erkennungszeichen. So tragen etwa die "Fremden Freiheitsbrüder" als Mitglieder des "Fremden Freiheitsschachtes" (= Vereinigung von Bauhandwerksgesellen, gegründet 1910) die "Rote Ehrbarkeit".

Während der "Tippelei" muss der Geselle bestimmte Regeln einhalten. Heutzutage muss er ledig, kinderlos und schuldenfrei sein. Während der mindestens drei Jahre und einen Tag dauernden Reise darf er den "Bannkreis" (50 Kilometer um seinen Heimatort) nicht betreten und er muss nach Möglichkeit zu Fuß reisen oder per Autostopp, öffentliche Verkehrsmittel sind verpönt. In der Öffentlichkeit muss er immer die Kluft tragen und er verpflichtet sich, sich immer ehrbar und zünftig zu verhalten. In früherer Zeit wurde einem Gesellen für unehrenhaftes Benehmen der Ohrring ausgerissen, er wurde zum "Schlitzohr" gemacht.

Bekannte Wandergesellen sind zum Beispiel:

  • Friedrich Ebert - erster Präsident der Weimarer Republik - Beruf Sattler
  • Adolf Kolping - Begründer des Kolpingwerkes - Beruf Schuhmacher
  • Adam Opel - Hersteller von Fahrrädern und Autos - Beruf Mechaniker

Der Spruch: "Wir alle seins Brüder, wir alle seins gleich!" ist während der Französischen Revolution entstanden. Die Handwerker nahmen die revolutionären Gedanken auf und trugen sie weiter. Bei der Verbreitung der Revolutionsideen außerhalb Frankreichs spielten die Wandergesellen keine unbedeutende Rolle.

Verwendete Quellen:

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Datum: So. 20.01.2019