Lyrik im Unterricht: Parallelgedichte

RedakteurIn: Reinhold Embacher
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Lyrikunterricht ist anspruchsvoll, sowohl für Lehrpersonen als auch für Schüler/innen, wenn er produktorientiert ausgerichtet wird und die Schüler/innen neben Textverstehen und Interpretation auch eigene Produkte schaffen sollen. Schließlich fällt es auch Erwachsenen schwer, Gedichte, noch dazu gereimte, zu verfassen. Aus diesem Grund ist die lyrische Form des Elfchens im Unterricht so häufig und beliebt, da sie keine Reime kennt und nach einer klar vorgegebenen Form funktioniert.

Wer den Schüler/innen mehr als Elfchen zutraut, kann durch Parallelgedichte eine Spur legen. Dabei verfassen die Kinder ein Gedicht nach dem Gestaltungsschema eines im Unterricht bereits gelesenen Gedichtes. Man ist gut beraten, wenn man den Schüler/innen auch hier ein Gerüst mit auf den Weg gibt, das sie weiter bearbeiten können.

Lesen Sie im Folgenden zu bekannten Gedichten, die in Anthologien, Lesebüchern und Magazinen immer wieder vorkommen, bereits ausgearbeitete Parallelgedichte. Diese können Sie für den Unterricht aufbereiten, indem Sie Reimwörter suchen oder Verse ordnen lassen. So gelangen auch schwächere Schüler/innen zu herzeigbaren Ergebnissen.

Alle diese Parallelgedichte sind im Unterricht frei verwendbar (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/at), die Vorbilder werden nur dann als Ganztext angeführt, wenn dies rechtlich möglich ist.

1

Rainer Maria Rilke

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
Die Flockenherde wie ein Hirt,
Und manche Tanne ahnt, wie balde
Sie fromm und lichterheilig wird,
Und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
Streckt sie die Zweige hin - bereit,
Und wehrt dem Wind und wächst entgegen
Der einen Nacht der Herrlichkeit.

Parallelgedicht

Advent nach Rilke

Ins Einkaufszentrum strömen heute
Gar viele Menschen im Advent.
Vor Plastiktannen stehen Leute
Und Weihnachtsmänner ohne End‘.
Sie tragen rote Mäntel, weiße Bärte.
Ein Vater sagt zur Tochter: Schau!
Sie blickt hinauf und ruft: Der werte
Weihnachtsmann ist eine Frau?

2

Johann Wolfgang von Goethe

Wandrers Nachtlied

Ãœber allen Gipfeln
Ist Ruh',
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur! Balde
Ruhest du auch.

Parallelgedicht

Städters Morgenlied

Über allen Dächern
Ist Krach,
In den Häusern
Liegt ein jeder wach,
Und auch du hältst dir die Ohren,
Hörst ratternd den Morgenverkehr.
Das ärgert dich sehr,
Der süße Schlaf ist verloren.

3

Christian Morgenstern

Der Seufzer

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein -
und er sank - und ward nimmer gesehen.

Parallelgedicht

Der andere Seufzer

Ein Seufzer spaziert hoch auf dem Seil
und träumt von Liebe, Ehre und Glanz.
Die Bürger der Stadt bewundern ihn, weil
er den Stadtplatz gewählt für seinen Tanz.

Der Seufzer sucht auf dem Platz dort unten
ein Mädchen, das er schon lange sehr schätzt.
Sie küsst einen andern! Nun ist sie gefunden:
Er stöhnt und stürzt und liegt tödlich verletzt.

4

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Der Reif

Der Reif ist ein geschickter Mann:
O seht doch, was er alles kann!
Er haucht nur in den Wald hinein,
Wie ist verzuckert schön und fein
Ein jeder Zweig und Busch und Strauch
Von seinem Hauch!

Wie schnell es ihm von Händen geht!
Kein Zuckerbäcker das versteht.
Und alles fein und silberrein,
Wie glänzt es doch im Sonnenschein!
Wär' alles doch nur Zucker auch
Von seinem Hauch!

Doch nein, wir sind schon sehr erfreut,
Dass uns der Reif so Schönes beut.
O Winter, deinen Reif auch gib,
Uns ist auch Augenweide lieb,
Und ohne Duft und Frühlingshauch
Freu'n wir uns auch.

Parallelgedicht

Der Frost

Der Frost ist ein geschickter Mann:
O seht doch, was er alles kann!
Er friert nur in den Wald hinein
und herrscht mit Gewalt in Stein
Und Zweig und Busch und Strauch
Mit seinem Hauch!

Wie schnell ihm doch sein Werk gelingt,
Wenn er die ganze Welt durchdringt
Und alles starrt und bebt und friert,
Was er nur einmal kurz berührt,
Ob Zweig, ob Busch, ob Strauch,
Mit seinem Hauch!

5

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

Maler Frühling

Der Frühling ist ein Maler,
er malet alles an,
die Berge mit den Wäldern,
die Täler mit den Feldern:
Was der doch malen kann!

Auch meine lieben Blumen
schmückt er mit Farbenpracht:
Wie sie so herrlich strahlen!
So schön kann keiner malen,
so schön, wie er es macht.

O könnt ich doch so malen,
ich malt ihm einen Strauß
und spräch in frohem Mute
für alles Lieb und Gute
so meinen Dank ihm aus!

Parallelgedicht

Sänger Frühling

Der Frühling ist ein Sänger,
wie gerne hör ich seinen Klang,
im Wald und auf den Wiesen,
wo bunte Blumen sprießen:
Was der doch singen kann!

Auch meinen kleinen Garten
Erfüllen seine Lieder:
Wie schön die Vöglein klingen!
An mein Fenster dringen
Des Frühlings Stimmen wieder.

O könnt’ ich doch so singen!
Ich säß‘ auf einer Bank
und säng‘ in vollen Tönen
von all dem Wunderschönen
dem Frühling froh zum Dank.

6

Gottfried August Bürger

Winterlied (1. Strophe)

Der Winter hat mit kalter Hand
Die Pappel abgelaubt,
Und hat das grüne Maigewand
Der armen Flur geraubt;
Hat Blümchen, blau und rot und weiß,
Begraben unter Schnee und Eis.

Parallelgedicht

Frühlingslied

Der Frühling hat mit lauer Hand
Das Pappelkleid aus Schnee geklaut,
Und hat das grüne Maigewand
Den Bäumen ringsum anvertraut;
Hat Blümchen, blau und rot und weiß
Hervorgebracht aus Schnee und Eis.

7

Was die Säge sagt

(nach Friedl Hofbauers Waschmaschine)

Ritzeratze
Brettersägen
ritzeratze - wumms.
Rechts reinsägen,
links reinsägen,
bis zur Mitte - plumps.
Platten sägen, Kästen sägen,
Latten mit viel Ästen sägen,
ritzeratze
Brettersägen
ritzeratze - plumps.
Und voll Tücke
auch die Brücke.
Ritzeratze
Brettersägen
ritzeratze
Brettersägen
Brettersägen
ritzeratze
wumms.

8

Ãœberfluss und Hungersnot

(Parallegedicht zu Josef Reding)

Morgens Schokomüsli, Milchkaffee.
Mittags Fleisch mit Erbsen und Püree.
Abends Käse, Wurst und Speck:
Mahlzeit, das muss alles weg.

Morgens nur ein leerer Magen.
Mittags könnt man was vertragen.
Abends fällt heut leider aus:
Arm wie eine Kirchenmaus.

Hungersnot und Ãœberfluss!
Weißt du, was man machen muss?

9

Juli & August

(Parallelgedicht zu Christine Rettls Gedicht „August“)

Juli hockt schwitzend
mit August
im Schwimmbad in der Sonne
und sagt ganz nebenbei:
Auf Erdbeereis hätt ich
jetzt richtig Lust.

August bringt Juli
mit klebriger Hand
in der Hitze zerrinnendes Eis
vom Kiosk des Schwimmbads.
Die Kugeln sind beinah so rot
wie sein Sonnenbrand.

10

Christian Morgenstern

Die drei Spatzen

In einem leeren Haselstrauch,
da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.

Der Erich rechts und links der Franz
und mittendrin der freche Hans.

Sie haben die Augen zu, ganz zu,
und obendrüber, da schneit es, hu!

Sie rücken zusammen dicht an dicht,
so warm wie Hans hat's niemand nicht.

Sie hör'n alle drei ihrer Herzlein Gepoch.
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.

Parallelgedicht

Die drei Pinguine

An einem Strand am Mittelmeer
watscheln drei Pinguine hin und her.

Der Erich vorn und hinten der Franz
und mittendrin der schnaufende Hans.

Sie halten die Augen auf, ganz auf,
und die Sonne scheint auf alle drei drauf.

Sie laufen schnell, dicht an dicht,
so wie der Hans schnauft niemand nicht.

Sie suchen verzweifelt den Eisverkäufer,
die drei in der Sonne schwitzenden Läufer.

11

Paula Dehmel

Lied vom Monde

Wind, Wind, sause,
der Mond ist nicht zu Hause;
er ist wohl hinter den Berg gegangen,
will vielleicht eine Sternschnuppe fangen,
Wind, Wind, sause.

Stern, Stern, scheine,
der Mond, der ist noch kleine;
Stern, Stern, scheine,
er hat die Sichel in der Hand,
er mäht das Gras am Himmelsrand,
Stern, Stern, scheine.

Singe, Vogel, singe,
der Mond ist guter Dinge;
er steckt den halben Taler raus,
das sieht blank und lustig aus,
singe, Vogel, singe.

Und hell wird's, immer heller;
der Mond, der hat 'nen Teller
mit allerfeinstem Silbersand,
den streut er über Meer und Land,
und hell wird's, immer heller.

Parallelgedicht

Winterfreuden

Schnee, Schnee, schneie,
wir stapfen in einer Reihe
der Schulweg ist heut' zugeschneit,
was uns natürlich riesig freut,
Schnee, Schnee, schneie.

Flocken, Flocken fallt herab,
bedeckt die Erde nicht zu knapp,
wir wollen einen Schneemann bauen,
der soll dann bis zum Mai nicht tauen,
Flocken, Flocken, fallt herab.

Eis, Eis, friere,
wir strecken alle viere
nach jedem harten Bauchfleck
lachend wieder von uns weg,
Eis, Eis, friere.

12

Spuren im Schnee

Parallelgedicht zu Friedl Hofbauer

Spuren im Schnee –
aha!
Wer war denn da?
Ein Reh!

Und hier
lief kurz nach halb vier
das Murmeltier
in sein Winterquartier.

Nachts schlafwandelte ein Bär.
zwischen den Bäumen umher.
Wann hält endlich auch er
Winterschlaf, bittesehr?

Was hab ich noch im Schnee entdeckt?
Eine Katze hat den Igel gestört,
hat das arme Tier ein wenig geneckt,
sodass es davonlief. Unerhört!

Was wäre noch zu dokumentieren?
Ein Hirsch stolzierte, ein Pferd gallopierte
und ein Jäger, auf allen vieren,
las komplizierte

Spuren im Schnee

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Datum: Do. 04.07.2019